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 Steinhoff: Novellen
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»Professor, was machen Sie denn hier?«
Der Professor, der sich in jene fürchterlichen Gedanken vertieft hatte, fuhr auf, als er sich in dieser feindlichen und unbekannten Menge angerufen hörte.
Vor ihm stand ein junger Mann in Trauerkleidung mit einem schönen, rosigen, heiteren Gesicht, blondem Haar und einer Zigarette im Mund.
»Sind Sie nicht...?«
»Ravelli.«
»Ah, natürlich, Ravelli. Jetzt erinnere ich mich. Was machen Sie hier?«
»Ich betreibe mein Geschäft«, antwortete besagter Ravelli, »und Sie?«
»Na ja, ich gehe ein wenig hier herum und vertreibe mir die Zeit.«
»Ein schöner Markt, nicht?« rief Ravelli.
»Oh ja, schön. Und was für ein Geschäft betreiben Sie, junger Mann?«
Ravelli erklärte nun ausführlich. Sein Vater war Händler in Südfrüchten und Tomatenmark gewesen. Er war seit einem Jahr tot, nun führe er selbst den Betrieb fort. Er sprach von Südfrüchten und Tomatenmark. Tomatenmark en gros und Südfrüchte waggonweise; seine Handelsverbindungen gingen nach Deutschland, in die Schweiz, nach Palermo und Parma. Er erläuterte die Qualität der Südfrüchte, sprach von Fehlern der Zitrone: die ohne Läuse gingen ins Ausland, die mit Läusen blieben in Italien. Er redete von Preisen und Verträgen sowie von Bar- und Wechselzahlungen. Alle diese kaufmännischen Kenntnisse breitete Ravelli vor dem Professor mit großer Beredsamkeit aus. Der Professor staunte über so viel Wissen.
»Verstehen Sie nur etwas von Zitronen und Tomaten?« wagte sich der Professor heraus. »Oder kennen Sie sich auch in Weintrauben aus?«
Natürlich verstand er sich auch auf Weintrauben! Und jetzt fing der Professor an zu erklären: «Sehen Sie, mein Lieber, die Sache ist so, meine Frau leidet an Sodbrennen und so weiter, der Wein hier ist gepanscht und so fort, und ich möchte, und-so-weiter-und-so-fort...«
Ravelli, den er einst für einen Esel gehalten hatte, verstand sofort, ohne daß der Professor den Satz zu beenden brauchte.
»Sie wollen den Wein zu Hause selbst bereiten.«
»Ja, so ist's, ein wenig zur Probe, zum Zeitvertreib.«
»Dieser Junge hat Einfühlungsgabe«, dachte der Professor bei sich. »Kommen Sie mit«, sagte Ravelli. »Hören Sie, Ravelli, ich habe nicht die Absicht, mich als Weinhändler aufzumachen. Aber meine Frau und so weiter, die Weinhändler und so fort...«
Wie das ging! Man mußte diesen Jungen sehen, diese Sicherheit! Er schob sich durch die Menge, redete in dieser Sondersprache, im Dialekt und in Gebärden; wenn nötig, wurde er auch ohne Zaudern frech.
Doch als der Professor bemerkte, daß Ravelli allen bekannt war, sich mit allen gut stand und diese ihn als einen der ihren behandelten, sagte er:
»Ich vertraue Ihnen, lieber Ravelli.«
»Wieviel Zentner? Fünf? Sechs?«
»Sechs, fünf, wie Sie wollen.«
Innerhalb einer halben Stunde lagen fünf Zentner schönste, reife, weiße und rote Weintrauben, kontrolliert und abgewogen in schönen Körben auf einem kleinen Wagen, der mit Wachstuch fest verschnürt war. Ein Peitschenhieb auf's Pferd, ein paar trockene Sätze zum Kutscher, Adresse, fertig und los. * Er brauchte nur noch zu zahlen. Oh, wie gern er hier zahlte! Ein äußerst solider Preis. Die Trauben erstklassig, die in den Körben oben drauf ebenso wie die unten drunter.
»Ah, dieser Ravelli kann Wunder vollbringen... Es scheint unmöglich! Ein solcher Schwachkopf und so viel Talent!«
»Professor«, entzog sich Ravelli den folgenden Dankesbeteuerungen des Professors mit aller Höflichkeit, »mich plagt eine neugierige Frage.«
»Aber bitte...«
»Sind nun die transitiven Verben solche, die man passiv gebrauchen kann oder nicht?«

Aus der Novelle von Alfredo Panzini "Transitive Verben oder die Schule des Lebens"

***

...Da es bis zu den Wahlen vom Herbst 1946 kein Parlament oder eine andere Art von Volksvertretung gab, vereinigte die Provinzialverwaltung als höchstes deutsches Organ in Brandenburg Legislative und Exekutive in einer Hand.
Diese konzentrierte Rechtsetzungs- und Verwaltungsbefugnis darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Provinzialverwaltung mit ihrem Präsidenten Dr. Steinhoff und alle anderen deutschen Organe völlig unter der strengen Aufsicht der sowjetischen Besatzungsorgane standen und deren Absichten durchsetzen mußten. Durch Befehle und Befehlsschreiben, schriftliche und mündliche Anweisungen sowie durch eine laufende Kontrolle wirkten die sowjetischen Organe intensiv auf die Arbeit der Provinzialverwaltung ein.
Trotz aller Einschränkungen hinsichtlich ihrer Selbständigkeit hat die brandenburgische Provinzialverwaltung in Verbindung mit den nachgeordneten Behörden in den Oberlandratsbezirken, Kreisen, Städten und Gemeinden in den Jahren 1945 und 1946 unter schwierigsten äußeren Bedingungen eine gewaltige Arbeit geleistet, um das Überleben der Bevölkerung zu sichern und die Grundsteine für einen Neuanfang zu legen. Dabei ging es nicht nur darum, die Trümmer der Kriegszerstörungen zu beseitigen, Wirtschaft und Verkehr wieder in Gang zu bringen, die Durchführung der Ernte und die Versorgung der Bevölkerung zu sichern sowie die Forderungen der Besatzungsmacht zu erfüllen, sondern auch darum, durch radikale Veränderungen in der ökonomischen Struktur und in der Rechts- und Sozialordnung zu gewährleisten, daß eine Rückkehr zu den Strukturen des "Dritten Reiches" unmöglich war. Dazu gehörten insbesondere die Durchführung der Bodenreform, die Enteignung zahlreicher Industriebetriebe, die Schul- und Justizreform und die Durchführung der Entnazifizierung in Verwaltung und Wirtschaft.
Dr. Steinhoff setzte auf Grund seiner während des "Dritten Reiches" gemachten Erfahrungen und seiner politischen Überzeugung all seine Kraft für diese Aufgaben ein.
Seine Ausbildung als Jurist und seine vielfältigen Erfahrungen in der preußischen Verwaltung vor 1933 sowie seine politische Überzeugung, alle Kraft für den Neuaufbau einer demokratischen Ordnung einzusetzen, haben Dr. Steinhoff befähigt, die schwierige Funktion des Präsidenten der Provinzialverwaltung Mark Brandenburg in den Jahren 1945 und 1946 auszuüben. Unter seiner Leitung hat sich der Aufbau eines handlungsfähigen Verwaltungsapparates vollzogen und sind die notwendigen Regulative erarbeitet worden. Dazu gehören beispielsweise die »Verfassung der Mark Brandenburg« vom 26. September 1945, in der Gliederung und Befugnisse der Provinzialverwaltung und ihres Präsidiums geregelt werden, eine Geschäftsordnung, eine Registraturordnung, Richtlinien für die Personalpolitik.
Als Präsident war Dr. Steinhoff auch voll für die Durchführung der Bodenreform, der Enteignung von Betrieben, der Entnazifizierung usw. verantwortlich. Wie schon angedeutet, ist er jedoch in seinen Entscheidungen nicht frei und unabhängig gewesen. Er war abhängig von der Sowjetischen Militäradministration und der von ihr vertretenen Besatzungspolitik. Auch mußte er die Beschlüsse der Parteigremien von SPD und KPD bzw. nach deren Vereinigung der SED sowie die Beschlüsse des »Landesblockausschusses der antifaschistisch-demokratischen Parteien« berücksichtigen. Schließlich mußte er innerhalb des Präsidiums der Provinzialverwaltung für eine einheitliche Politik sorgen und Interessen der einzelnen Ressorts überwinden.
Am 22. November 1946 konstituierte sich der brandenburgische Landtag. In seiner 2. Sitzung am 6. Dezember 1946 wählte er Dr. Steinhoff zum neuen Ministerpräsidenten und beauftragte ihn mit der Bildung der Landesregierung. Dr. Steinhoff nahm die Wahl an und gelobte, "alle meine Kräfte in engem Zusammenwirken mit dem Landtage einzusetzen für den weiteren demokratischen Fortschritt und für das Wohl der Bevölkerung der Mark Brandenburg in der Hoffnung, damit auch gleichzeitig einen Beitrag für unser geliebtes Vaterland zu leisten, das Deutschland heißt und, soweit es an uns liegt, auch künftig Deutschland heißen wird."
Die Landesregierung unter der Leitung von Dr. Steinhoff und die nachgeordneten kommunalen Verwaltungen mußten zahllose Schwierigkeiten überwinden. Die durch den Bruch der Oderdeiche im März 1947 verursachte Überschwemmung des Oderbruchs ("Oderbruch-Katastrophe") erforderte zusätzliche Maßnahmen, die nur unter großer Beteiligung des ganzen Landes durchgeführt werden konnten.
Als Präsident der Provinzialverwaltung Mark Brandenburg und erster Ministerpräsident des neuen Landes Brandenburg hat Dr. Steinhoff große Verdienste bei der Überwindung der Folgen des zweiten Weltkrieges und beim Neuaufbau einer demokratischen Ordnung gehabt. Er gehört zu den bemerkenswerten Persönlichkeiten der ersten Nachkriegsjahre in unserem Land und verdient eine entsprechende Würdigung.

Dr. phil. Hans-Joachim Schreckenbach in dem Kapitel "Brandenburgs Ministerpräsident 1945 - 1949 -- Dr. Steinhoff"

***

Eine nicht ganz ungefährliche Situation widerfuhr dem neu ernannten Präsidenten der Provinzialverwaltung im Juli 1945 - uns im Nachhinein als "spannende Episode" berichtet - auf der Heimfahrt von Potsdam nach Wilhelmshorst mit dem von der SMAD zur Verfügung gestellten blauen Opel-Olympia. Russisch uniformierte Banditen täuschten auf der Straße eine Panne vor und baten um Abschlepphilfe. Als der Fahrer zum Befestigen des Seils ausgestiegen war, zwangen sie meinen Vater mit vorgehaltener Pistole zum Verlassen des Wagens und stahlen diesen; er und sein Fahrer "durften" unversehrt nach Hause laufen.
...
Auch der Aufbau von Landwirtschaft und Industrie unter den Bedingungen der bereits damals sichtbaren ersten Erschwernisse durch den beginnenden "Kalten Krieg" ließen die Arbeitstage kaum vor 21 Uhr abends enden. Trotzdem kam er, selbst musisch veranlagt, in seiner Amtszeit auch dazu, künstlerische Veranstaltungen zu besuchen und zu initiieren bzw. zu fördern. So verhalf er dem damals sehr jungen und völlig unbekannten Dirigenten Hans Chemin-Petit wie auch Sergiu Celibidache zu Debütkonzerten in Potsdam.
Aus der Aufbauzeit ist mir noch ein besonderes Ereignis berichtet worden: 1946 ist mein Vater mit Heinrich Rau nach einem Hilferuf der Senftenberger Kumpel sofort und ohne Voranmeldung über die SED-Zentrale (also auch ohne deren Genehmigung) - was einem unerhörten Affront gegen die übliche Vorgehensweise entsprach - direkt zu Marschall Sokolowski nach Karlshorst gefahren, um den Abbau des letzten großen Braunkohle-Baggers zu verhindern. Die Demontage sollte noch im Rahmen der Reparation erfolgen -- obwohl einige Tage zuvor von der SMAD und auch von W. Ulbricht die Beendigung der Demontagen propagandistisch verkündet worden war. Der Bagger konnte daraufhin weiter im Senftenberger Revier fördern, was die Kumpel bei der damals allgemein deprimierten Stimmung sehr motivierte.

Dr. sc. med. Rudolf Steinhoff in dem Kapitel "Carl Steinhoff -- ein Lebensbild von seinem Sohn"


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