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Monika Melchert, Lesart 2/2020

Brücken zwischen Nord und Süd
Der neue Gedichtband »Meine Korrespondenzen« von Christine Wolter

Korrespondenzen sind Verbindungen mit der Welt, mit Menschen und Orten, die einem etwas bedeuten – hier und jetzt, in Ost und West, besser Nord und Süd. Christine Wolters Gedichte sind solche Verbindungslinien, die ihre Erfahrungen mit dem Heute aufrufen, aber auch in die Vergangenheit ihres Lebens führen. Geboren 1939 in Königsberg, erwachsen geworden in der DDR, hat sie schon als junge Frau, nach dem Studium der Romanistik, ihre große Liebe Italien zugewandt.
»Meine italienische Reise«, ihr Debüt, ein Bändchen in der Edition neue Texte, der schönen kleinen Reihe des Aufbau Verlags, hat 1973 den Ton angeschlagen. Da hat sie das Land ihrer Sehnsucht zum ersten Mal erkunden können. Ein besonderes Buch wurde 1987 »Straße der Stunden. 44 Ansichten von Mailand«, Innensichten italienischer Kultur und Literatur. In den folgenden Jahrzehnten kamen viele Titel hinzu, Prosa und Lyrik. Am bekanntesten wurde ihr Roman »Die Alleinseglerin« (1982, von der DEFA verfilmt). Seit 1978 lebt sie in und bei Mailand, war dort verheiratet, hat ihre Stadt Berlin jedoch nie ganz verlassen. Zu stark waren die Bindungen, so etwas lässt einen nicht los. Liest man ihren Band »Traum Berlin Ost« von 2009, fällt sofort ins Auge, wie die doppelte Verortung ihr Leben bestimmt.
Nun ein neuer Gedichtband, »Meine Korrespondenzen«, der von der produktiven Spannung zwischen Italien und Deutschland lebt. Gegliedert in sechs Abschnitte, blättern die einzelnen Gedichte ein Spektrum an Gedanken und Gefühlen auf, die alle auf präziser Recherche beruhen. Erinnern, Denken und Träumen sind die wiederkehrenden Grundmuster ihrer Welterkundung. Besuche an den Gräbern der Eltern gehören ebenso dazu wie die Hommage an Künstlerfreunde, darunter der Dichter Günter Kunert und der Maler Dieter Goltzsche. Acht Tuschezeichnungen von seiner Hand schmücken das Buch, deren filigraner Strich so gut zu Christine Wolters Diktion passt.
Die Welt, von der die Autorin spricht, ist keine Idylle, und das Gedicht »Flut« könnte, wäre es nicht längst vorher entstanden, auf gegenwärtige Krisenzeiten zutreffen - der Bruch in dem für ewig gehaltenen Kreislauf: »Moses 6 vers 17 siehe ich will / eine sintflut kommen lassen / aber wer wird sein unter uns / wie Noah wert und verstehend / einen kästen zu bauen –«.
»Nord - Süd« ist der erste Abschnitt überschrieben, das meint natürlich mehr als die geografische Bewegung der Dichterin. Aber die Verbindung zwischen beiden Polen ihres Lebens ist damit aufgespannt. Immer wieder kann sie dorthin zurückkehren, von wo sie einst aufgebrochen war in die Welt. Durchzogen von leiser Melancholie sind manche Gedichte, doch ebenso von unbestechlicher Beobachtung. Erleben und Erinnern bilden ein Ganzes? Berlin, seine Seen, seine Innenstadtkieze und grauen Bahngleise, und dicht daneben der »Dom zu Mailand«. Italien, das Andere zur eigenen Herkunft, aber das, was sie gefunden und sich anverwandelt hat. Die Alpen als eine Grenze zwischen beiden, nördlich oder südlich davon, das macht einen evidenten Unterschied aus.
Die Gedichte ziehen in gewissem Sinn eine Lebensbilanz; von Abschied ist die Rede, »bis zum Schlussakkord«. Auf der Haben-Seite steht vieles, was sich angereichert hat in den Jahren, auch wenn Verluste nicht verschwiegen werden, der tiefste der Tod ihres Mannes: $raquo;plötzlich diese berührung / in nebel und halbschlaf / wie einst und ganz wir« (»Korrespondenz«). In dem Gedicht »Langsam füllt sich das Leben« heißt es lakonisch: »wann war das wer war ich und / war es denn wirklich dies wir?«
Und die Verse »höre vertrau / dem vergessenen wort / sei still schlaf fort« muten beinahe wie Zaubersprüche an (»Schlafmittel«). Mit der Sprache bannt die Dichterin all das, was ihr unverlierbar sein soll, was bewahrenswert ist.

Monika Melchert, Lesart 2/2020 (mit Titelabbildung und Autor-Porträt)


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